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Hans Kudlich – der Bauernbefreier

Hans Kudlich

Am 25. Oktober 1823 kam Hans Kudlich als jüngster Sohn, als sechstes von acht die Geburt überlebenden Kindern eines relativ begüterten, doch robotpflichtigen Bauern in Lobenstein, zur Welt.

Der Vater, Johann Kudlich, war praktisch veranlagt, klar denkend, fleißig und geschäftig. Er war von den Ideen der Aufklärung beseelt und vom Streben nach Wissen erfüllt. Seine Absicht war es, seine Söhne aus der feudalen Wirtschaftsordnung von Robot und Zehent zu befreien.

Die Mutter, Eleonora Marie, geb. Ulrich, war fromm und von großer Pflichttreue beseelt. Ihr höchstes Streben ging dahin, aus Hans einen Geistlichen werden zu lassen. Während der Ferien musste Hans täglich zur Messe gehen; denn, sagte die Mutter, er hätte die Zeit dazu, die anderen müssten arbeiten.

Im Allgemeinen erlebte Hans in Lobenstein eine unbeschwerte Jugendzeit, er war glücklich als kaiserlich österreichischer Schlesier und nicht als königlicher Preuße das Licht der Welt erblickt zu haben – so schrieb er in seinen Memoiren.

Mit 11 Jahren wurde Hans Schüler des Gymnasiums in Troppau. Sein Vater, der auf ein Studium drang, hatte seinen sozialen Aufstieg ebenso im Auge wie die praktische Erwägung, dass der Besuch des Gymnasiums vor der „Sklaverei des 14jährigen Militärdienstes“ bewahrte. Die ersten beiden Schuljahre waren wohl nicht sehr erfolgreich. Aber vor die Alternative gestellt, entweder Schuster zu werden oder zu lernen, wandte sich Hans dann mit Eifer und offensichtlich mit Erfolg seinen schulischen Pflichten zu.

Daraus kann aber keineswegs abgeleitet werden, dass der schulische Alltag für Hans reibungslos ablief, denn die Gymnasien jener Zeit waren nichts anderes als Abrichtanstalten, um dem Staat gute Beamte und der Kirche Material für ihre Seminarien zu liefern – so schrieb er in seinen Memoiren. Dort beklagt er auch den übergroßen Einfluss der Kirche und beschreibt, wie besonders der Katechet Tidel dies im schulischen Alltag umsetzte. Zum Beispiel wurden freitags Fleisch essen, Kegelschieben, Billardspielen und Tanzen zu Werken des Satans erklärt. Die Gymnasiasten wurden zudem genötigt, 7- bis 8mal im Schuljahr zu beichten. So entstand Widerspruch. Hans wollte als Exempel zusammen mit zwei Mitschülern herausfinden, ob das Beichtgeheimnis im Ernstfall eingehalten würde. Er beichtete, dass er einen Schneidergesellen in die Fluten des Mühlbaches gestoßen hätte, der dort dann wahrscheinlich ertrunken sei. Die beiden Mitschüler wollten dies ihrerseits in ihrer darauf folgenden Beichte als Beobachtung eingestehen. Doch die Geschichte entwickelte sofort ihre Eigendynamik. Der Beichtvater, Minorit Prosper, brach die Beichte umgehend ohne Absolution ab, bestellte Hans auf sein Zimmer und verließ die Kirche. Dann verhörte der Minorit Hans kreuz und quer und forderte ihn auf, sich beim Präfekten selbst anzuzeigen. Anschließend führte er Hans dorthin. Aus dem Benehmen und den Fragen des Präfekten konnte Hans ableiten, dass jede Information vom Minoriten bereits weitergegeben worden war - das Beichtgeheimnis war folglich nicht gewahrt worden. Hans wurde in den Karzer gesperrt. Da die folgenden Nachforschungen der Polizei die Selbstanzeige nicht bestätigten, wurde Hans aus dem Karzer freigelassen und wurde gleichzeitig aus dem Gymnasium verwiesen. Erst als der Vater (mit Geld in seiner Tasche) mehrmals den Präfekten, den Katecheten, die Professoren und den Minoriten Pater besucht und Hans ernsthaft Besserung gelobt hatte, wurde er im Gymnasium wieder in Gnaden aufgenommen.

Mit 17 Jahren erhielt Hans Kudlich das Reifezeugnis und konnte mit Erlaubnis der Liechtensteinschen Herrschaft in Wien Philosophie und später Rechtswissenschaften studieren. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Stundengeben und als Erzieher.

Durch Vermittlung seines um 14 Jahre älteren Bruders Josef Hermann, der bereits vor ihm in Wien das Studium der Rechte absolviert hatte und ihm in allen Jahren Wegbereiter und Leitfigur war, kam er im juristisch-politischen Wiener Leseverein in Kontakt mit der liberalen Intelligenz. Dieser Kreis prägte und gestaltete wesentlich im Jahr 1848 die erste Phase der Revolution. Die Erfahrung mit diesem einflussreichen Bürgerstand, der vor allem an der Ausweitung seiner eigenen Freiheitsräume interessiert war, war für Hans Kudlichs geistige Wachstumsperiode ebenso wichtig wie die Begegnung mit liberalen Hochschullehrern und freiheitlich eingestellten Studienkollegen in der Akademischen Legion. Hans Kudlich fühlte sich mehr zu den radikaleren Demokraten hingezogen.

Als Sohn eines robotpflichtigen Bauern hatte er neben der Durchsetzung der demokratischen Freiheits- und Verfassungsrechte schon früh und sehr konkret die Abschaffung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit einschließlich der Verpflichtung zur Robot im Auge.

Am 13. März 1848 nahm Hans Kudlich in Wien an der berühmten Demonstration vor dem Niederösterreichischen Landhaus teil, in dessen Innenhof heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Es war der Beginn der März-Revolution. Bei der Auflösung der Demonstration durch das Militär erhielt Kudlich einen Bajonettstich in die rechte Hand. Er galt nun als Märtyrer für die Freiheit. Er verließ Wien, um sich daheim gesund pflegen zu lassen und geriet dort in die aktive Politik, nämlich in die Vorbereitung der Wahl des Österreichischen Reichstages. Er wurde im Wahlkreis Bennisch von den Delegierten im dritten Wahlgang, in einer Stichwahl, gegen den tschechischen Kandidaten Mitschka in den Reichstag gewählt.

Noch als sich das neu gewählte Parlament in Wien mit der Geschäftsordnung befasste, hat Hans am 24. Juli 1848, als jüngster Abgeordneter des Österreichischen Reichstages, den Antrag auf Befreiung der Bauern von Zehent, Robot und allen Untertänigkeitsverhältnissen gestellt. Sein schriftlicher Antrag lautete:

„Die hohe Reichsversammlung möge erklären:
Von nun an ist das Untertänigkeitsverhältnis samt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und wie eine Entschädigung zu leisten sei."

Es ist anzunehmen, dass Hans Kudlich aus Zeitmangel oder wegen seiner Unerfahrenheit in parlamentarischen Abläufen sich nicht um eine ausreichende Lobby zur Unterstützung seiner Gesetzesinitiative gekümmert hatte. Es folgten nämlich ausgedehnte Parlamentsdebatten, auch Zusatz- und Gegenanträge wurden eingebracht, bis schließlich nach mehreren Kampfabstimmungen am 1. September 1848 im Reichstag das sogenannte „Robot-Befreiungsgesetz“ beschlossen wurde. Am 7. September wurde es verkündet und damit war es rechtskräftiges Gesetz. Am 9. September sanktionierte dann Kaiser Ferdinand I. dieses „Robot-Befreiungsgesetz".

Auch wenn sich Kudlich in der Grundentlastungsfrage nicht in allen Punkten durchsetzen konnte, das Gesetz war ein Erfolg und ein großer Schritt nach vorn. Es brachte tatsächlich die Befreiung der Bauern, es hatte aus herrschaftlichen Untertanen gleichberechtigte Staatsbürger gemacht. Das Gesetz war in einer Zeit des stark zunehmenden Nationalismus eine große übernationale sozialpolitische Tat. Das Gesetzeswerk ist zudem das einzige dieses Parlaments, das auf Dauer Bestand hatte. Es kam 11,7 Millionen Landvolkangehörigen mit 17 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche zugute.

Um Hans Kudlich wegen seiner Gesetzesinitiative zu danken, huldigten ihm am 24. September 1848 30.000 Bauern aus der Donaumonarchie mit einem großartigen Fackelzug auf dem Mehlmarkt in Wien. So erhielt er den Ehrentitel „Bauernbefreier“

Schon einen Monat nach Verabschiedung des Robot-Befreiungsgesetzes brach der Wiener Oktoberaufstand aus. Er führte schließlich zum Zusammenbruch der Revolution, zur Verlegung des Reichstages nach Kremsier und dann am 7. März 1849 zu dessen Auflösung.

In dieser schwierigen Zeit wollte Kudlich den Landsturm entfachen, er wollte die Bauern mobilisieren, für die er im Reichstag gekämpft hatte. Die Bauern aber hatten ihr Ziel, ihre Befreiung schon erreicht. Die Revolution war damit für sie zu Ende.

Kudlich floh von Kremsier -wie die meisten Abgeordneten der Linken-  aus Österreich. Zuerst ging er zu seinem Bruder Josef Hermann nach Frankfurt am Main, der dort Abgeordneter in der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche war. Dann nahm er aktiv am Aufstand in der Pfalz teil und wurde Mitglied der provisorischen Landesregierung. Nach der Niederschlagung des Aufstandes schließlich flüchtete er in die Schweiz.

In Bern fand er Aufnahme im Haus des liberalen Professors Wilhelm Vogt, Leiter der medizinischen Klinik. Hier sattelte Hans um und studierte in Bern und Zürich Medizin. Er hatte schon immer eine Neigung zur Medizin gehabt, hatte aber dem väterlichen Wunsch, Jurisprudenz zu studieren, nachgegeben. Im März 1853 legte er sein Doktorexamen ab und noch im selben Monat heiratete er Professor Vogts Tochter Luise. Am Stichtag, dem 4. April 1853, verließ er dann mit seiner jungen Braut als Landesverwiesener die Schweiz. Die Behörden konnten ihn nur bis zum Abschluss seiner Examina schützen, danach musste er das Land verlassen. Er fuhr auf einem Segelschiff nach New York und bezahlte die Überfahrt, indem er als Schiffsarzt anheuerte.

Hans Kudlich hatte sein Wahlversprechen gehalten, doch musste er –wie zu sehen ist- dafür büßen. Er verlor seine geliebte Heimat. Wegen Aufwiegelung des Volkes wurde er per Haftbefehl gesucht und er wurde am 31. Oktober 1851 im bayerischen Zweibrücken und am 10. März 1854 vom Landesgericht in Wien in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

In den USA begann für ihn eine neue Lebensepoche. Nach einem missglückten Start in Greenpoint zog er 1854 nach Hoboken bei New York. In diesem Städtchen lebten damals viele Deutsche und hier wurde er ein sehr erfolgreicher Arzt. Bald entwickelte er sich auch zu einer führenden Persönlichkeit in der Stadt Hoboken. Er wurde Mitbegründer mehrerer deutscher Vereine und Schulen. Besonders zu erwähnen wäre die "Hoboken-Akademie", eine der besten deutsch-amerikanischen Schulen seiner Zeit. Im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) ergriff er leidenschaftlich Partei für Abraham Lincoln.

Seiner überaus glücklichen Ehe mit Luise Vogt entsprossen 9 Kinder.

Nachdem 1867 in Österreich das Todesurteil gegen ihn aufgehoben worden war, kam er 1871 zum ersten Mal nach Österreich zurück. Obwohl er überall, z.B. 1872 in Linz, begeistert empfangen wurde, musste er bald erkennen, dass er in der Zwischenzeit doch ein Fremder geworden war. So schrieb er in Lobenstein seine Memoiren und kehrte 1873 nach Amerika zurück. Oftmals besuchte er in späteren Jahren seine österreichische und schlesische Heimat, er konnte sich aber nie dazu entscheiden, dort zu bleiben.

Am 10. November 1917 verstarb Kudlich im Alter von 94 Jahren in Hoboken, USA. Seine Asche und die seiner Frau Luise, geb. Vogt, wurden am 11. Oktober 1925 in Lobenstein im Mausoleum der Hans-Kudlich-Warte beigesetzt.

Die Leistung Kudlichs wurde von der -zumeist deutsch sprechenden- Bevölkerung überaus geschätzt und anerkannt. Dennoch ist es verwunderlich, dass ihm bereits zu Lebzeiten mindestens 18 Denkmäler gewidmet wurden. Dies ist eine Ehre, die nur sehr bedeutenden oder sehr beliebten Persönlichkeiten zuteil wird. Insgesamt gibt bzw. gab es in Tschechien 64 Kudlich-Denkmäler, doch es dürfte ihre Anzahl noch höher sein.

In Österreich erinnern zehn Denkmäler oder Gedenktafeln an den Bauernbefreier, in Deutschland sowie in den USA je eines.


Diese Seite wurde angelegt am 07.03.2012. Letzte Aktualisierung: 03.02.2014.


Quellen:

  • Kudlich, Hans: Rückblicke und Erinnerungen, Band 1-3. Wien, Pest, Leipzig 1873.
  • Prinz, Friedrich: Hans Kudlich, Versuch einer historisch-politischen Biographie. München 1962.
  • Stangler, Gottfried (Hrsg.): Hans Kudlich und die Bauernbefreiung in Niederösterreich (Sonderausstellung im NÖ Landhaus 17. Mai - 22. Juni 1983). Wien 1983.
  • Zelinka, Inge: Der autoritäre Sozialstaat: Machtgewinn durch Mitgefühl in der Genese staatlicher Fürsorge. Münster 2005, S. 215.
  • Deutsche Post, 13.10.1925, S. 2: Hans Kudlich ruht in deutscher Heimaterde.